Schon auf dem Papier gibt es zwischen Top-Management und Frontline Workern (also allen Mitarbeitern ohne eigenen festen Arbeitsplatz) große Unterschiede. Verdienten CEOs 1965 noch das 21-fache, war es 2020 das 351-fache der Mitarbeiter in der ersten Linie. Und während sich die Produktivität von Frontline Workern von 1979 bis 2019 um 60% erhöhte, konnten sie ihre Vergütung nur um 16% steigern.
Kostenfaktor versus Wertanlage bei Frontline Worker
Doch nicht nur auf dem Gehaltszettel macht sich die zunehmende Entfremdung bemerkbar. Bislang werden Arbeiter in der ersten Linie in der Regel als Kostenfaktor betrachtet, der verwaltet werden muss, stattdessen als Wertanlage, die gefördert und unterstützt werden kann. Und anstatt diese Wertanlage aufzubauen, senken Manager die Kosten, indem Sie Mitarbeiter an der Front entlassen oder ihre Zahl durch Outsourcing und Automatisierung verringern. Das eine solche Strategie ein Boomerang werden kann, beweisen Einzelhändler und Restaurants, die nun vielfach unterbesetzt sind und Ladenzeiten einschränken müssen.
Eine Welt – zwei Wahrnehmungen
Eine Studie, an der 2.000 leitende Entscheidungsträger und 2.000 Frontline Worker teilnahmen, untersuchte die Kluft zwischen Management und Mitarbeitern. Es stellte sich heraus, dass sich die Wahrnehmungen alamierend unterscheiden:
- Während 45 % der Mitarbeiter an vorderster Front ihre Ideen mit den leitenden Angestellten teilten, gaben 90 % der Manager an, dass sich ihre Mitarbeiter wohl damit fühlen, ihre Ideen mit ihnen zu besprechen.
- 83 % der Führungskräfte gaben an, dass sie allen Mitarbeitern eine Stimme geben, doch haben im Gegensatz dazu 54 % der Mitarbeiter das Gefühl, dass sie keine Stimme haben.
- Was die Stimmung unter den Mitarbeitern angeht, so fühlen sich 14 % der Mitarbeiter mit ihrer Unternehmenszentrale verbunden, und nur 3 % mit der Führungsebene.
Wie kann es es zu einer solchen Diskrepanz kommen? Dies kann man nur verstehen, wenn was ergründet, was Frontline Workern wirklich wichtig ist.
Was für Frontline Worker wichtig ist
Die meisten Mitarbeiter an vordester Front sehen den beruflichen Aufstieg in erster Linie als Weg zu mehr Einkommen und finanzieller Sicherheit, weshalb dies ihr größter Wunsch ist. Nachvollziehbar, kann doch eine Lohnerhöhung die Lebensqualität und die Möglichkeit, die Familie zu versorgen, enorm verbessern. Und natürlich haben die Covid-19-Pandemie und die steigende Inflation materielle Fragen weiter in den Vordergrund rücken lassen.
Doch auch andere Faktoren haben für die Mitarbeiter einer McKinsey-Studie folgend eine hohe Relevanz. Die Möglichkeit, beruflich zu wachsen oder gar aufzusteigen, hat für die Mitarbeiter in der ersten Linie eine noch höhrere Priorität als das Gehalt oder Sozialleistungen allein – und dies ist für sie wichtiger als viele Arbeitgeber glauben. Neben beruflichen Aufstieg und Lohn sind zudem noch drei weitere Aspekte für Arbeiter relevant. So priorisieren diese Lernmöglichkeiten, das die Tätigkeit zur Qualifikation passt und einen unterstützenden Vorgesetzten.
Was Arbeitgeber denken, was für Deskless Worker wichtig ist
Die Untersuchungen von McKinsey zeigen aber auch, dass Arbeitgeber dazu tendieren, immaterielle Leistungen wie Erfüllung oder Anerkennung höher zu priorisieren, als sie für #Frontline #Worker tatsächlich wichtig sind. Zweifelsohne können diese Maßnahmen an Bedeutung gewinnen, sobald Grundbedürfnisse wie eine ausreichende Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten erfüllt sind, prinzipiell sind sie aber eher niedriger zu priorisieren.
Denn auch bei wachstumsorientierten Merkmalen machen Arbeitgeber den Fehler, auf das falsche Pferd zu setzen. So legen sie tendenziell mehr Wert auf einen besseren Jobtitel (unter den fünf niedrigsten Merkmalen für Frontline Mitarbeiter) als auf berufliche Entwicklung und Lernmöglichkeiten (Top-5-Merkmale), was dazu führt, dass Mitarbeiter an vorderster Front fehlende Entwicklungsmöglichkeiten als Hauptgrund für ausbleibenden Aufstieg nennen. Schaut man auf den Arbeitsplatz, so präferieren Frontline Worker vor allem, dass ihre Qualifikationen aufeinander abgestimmt sind und sie ein geeignetes Arbeitsumfeld vorfinden, was ihnen Struktur und Stabilität gibt.
Genug geschimpft – wie kann man die Lücke schließen?
An dieser Stelle möchte ich kurz die Geschichte von Hubert Joly, den früheren CEO von Best Buy, erzählen. Als er 2012 die Unternehmensführung übernahm, befand sich Best Buy im freien Fall. Der vorherige Chef war gerade verurteilt, die Umsätze und Aktienkurse brachen ein und jeder Analyst wettete schon auf die baldige Pleite des Unternehmens. Hubert Joly machte aus der Not eine Tugend und ergriff ungewöhnliche Maßnahmen. Die erste Woche im Unternehmen verbrachte er, der bis dahin keine Ahnung vom Handelsgeschäft hatte, nicht in der Unternehmenszentrale, sondern in einem ihrer Läden in St. Clouds, Minnesota. Er agierte dort mit Kunden und Angestellten und trug ein Schildchen mit dem Titel: „CEO in Ausbildung“.
Schon am ersten Tag, beim Abendessen in einer örtlichen Pizzaria mit einem Filialleiter, erfuhr Joly, dass die Suche im Onlineshop von Best Buy nicht richtig funktionierte. Wenn man das Wort „Cinderella“ eingab, bekam man eine Liste von Nikon Kameras angezeigt. Ein Problem, was er sofort in sein Programm „Renew blue“ einfließen ließ. Auch das die Ladenflächen nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen der Kunden entsprachen, erfuhr er nur vor Ort. Nachdem er das Ruder bei Best Buy erfolgreich herumreißen konnte, reflektiere Joly:
„Was ich lernte, als ich den Mitarbeitern in den Geschäften zuhörte und beobachtete, was in den Geschäften vor sich ging, hätte ich nie ergründen können, wenn ich mich mit Tabellenkalkulationen beschäftigt oder in Besprechungsräumen mit anderen Führungskräften in der Zentrale gesessen hätte.“
Hubert Joly
CEOs, verbringt mehr Zeit in der ersten Linie!
Laut einer Tiefenstudie der Harvard Business School Professoren Michael E. Porter und Nitin Nohria verbringen CEOs nur 6% ihrer Zeit bei ihren Frontline Workern, 3% bei Kunden und 72% in Meetings. Dies erhöht die Gefahr, dass sie nur in ihrer eigenen Blase operieren und die Welt nie durch die Augen ihrer Arbeiter sehen.
„Zeit mit der Belegschaft zu verbringen und mit versierten externen Mitarbeitern an der Front zu sprechen, ist ein unverzichtbarer Weg, um zuverlässige Informationen darüber zu erhalten, was im Unternehmen und in der Branche wirklich vor sich geht“, notieren Porter und Nohria.
Zwar muss man nicht wie Wolfgang Grupp neben der Firma wohnen und jeden Tag in der Produktion verbringen, doch eine höhere Präsenz zahlt sich aus. Dazu gibt es neben den Grupps und den Joly´s zahlreiche andere Beispiele. Bill George, ehemaliger CEO des Medizintechnikerherstellers Medtronics, verfolgte dabei ein 30/30/30/10 Ziel. 30% seiner Zeit verbrachte er mit Kunden, 30% mit seinen Mitarbeitern an der vordersten Front, 30% mit Führungskräften und 10% mit anderen Tätigkeiten und empfiehlt dieses Ziel auch anderen Geschäftsführern.
Aufstiegsmöglichkeiten von Beginn an kommunizieren – und zwar regelmäßig
Doch nicht nur in der der Präsenz können sich Arbeitgeber verbessern. Auch beim Thema Aufstieg können Unternehmen leicht Potentiale heben. Kommunizieren Sie Aufstiegsmöglichkeiten und mögliche Karrierepfade am besten schon in ihren Stellenanzeigen. Präsentieren Sie auf ihrer Website und auf Jobmessen Personas und Fotos von Mitarbeitern, die sich bereits „hochgearbeitet“ haben. Verändern sie ihr Onboarding, indem sie neuen Mitarbeitern verschiedene Aufstiegsszenarien, dass dafür erforderliche Wissen vermitteln.
Nutzen Sie auch hier die Möglichkeit, neue Mitarbeiter mit bereits erfolgreich Aufgestiegenen zusammenzubringen. Außerdem hat sich die Etablierung interner Mentoren als positiv herausgestellt, gerade dann, wenn es Führungskräften schwer fällt, die berufliche Entwicklung von neuen Mitarbeitern zu unterstützen. Ziel sollte es sein, dass jeder Mitarbeiter über die firmeneigenen Aufstiegsmöglichkeiten und die dafür nötigen Fähigkeiten Bescheid weiß.
Schaffen Sie Anreize, die für Arbeiter interessant sind
Wie wir bereits festgestellt haben, unterscheiden sich die Präferenzen von Frontline Workern und anderen Mitarbeitergruppen. Dies führt dazu, dass auch bei der Festlegung von Anreizen in den Chefetagen ein Umdenken stattfinden muss. Da Vergütung ein zentraler Punkt für Arbeiter ist, sollte es Angebote einer schrittweisen Erhöhung des Stundenlohnes als auch die Möglichkeit zur leistungsabhhängigen Anhebung geben.
Holen Sie sich regelmäßig Feedback
Wichtig ist, dass sie sich regelmäßig Rückmeldung von ihren Mitarbeitern einholen. Auch und gerade, wenn Anreize oder Leistungen nicht in Anspruch genommen werden. Ich betone das, weil es uns in der Praxis oft anderes begegnet. Ein Bauunternehmer erzählte uns, dass er für seine 350 Mitarbeiter die Sachkostenpauschale in Höhe von 50 Euro freigegeben hatte. Er beschwerte sich aber, dass nur 25 Mitarbeiter dies in Anspruch nehmen würden, und konnte uns auf die Frage, weshalb es nur so wenig nutzen, keine Antwort geben. Feedback hilft Ihnen aber, die Ursache zu erfahren, ob es z.B. den Arbeitnehmern noch nicht bewusst ist, was sie mit der Leistung machen können, ob sie einfach keine Zeit haben, sie zu nutzen, oder ob die Leistung nicht ihren Vorstellungen entspricht. Wer fragt, gewinnt.
Geben Sie ihren Frontline Worker die Werkzeuge, um ihre Teams anführen zu können
Sensibilisieren Sie ihre Führungskräfte für die besonderen Herausforderungen, mit denen Mitarbeiter an vorderster Front konfrontiert sind. Nutzen Sie am besten schon in der Einstellung eines Managers die Chance, seine Fähigkeit, ein unterstützendes Umfeld für seine direkten Mitarbeiter aufzubauen, als Kriterium abzuprüfen. Schulen Sie darüber hinaus ihre Führungskräfte kontinuirlich in Mitarbeiterführung, Talententwicklung und Konfliktmanagement und geben Sie ihnen Anleitungen, Richtlinien und Technologie an die Hand, die ihnen in ihrer (neuen) Rolle helfen.
Die Zeit ist reif für Frontline Worker
Die Beispiele im Text zeigen, wie sehr Unternehmen und CEO´s von ihren Arbeitern profitieren können. Eine bessere Mitarbeiterbindung, geringere Fluktuation und eine höhere Kundenzufriedenheit drücken sich am Ende in besseren Umsätzen aus. Nutzen Sie diese Goldgrube, beschäftigen sie sich mit Ihren Mitarbeitern an vorderster Front und vor allem, beginnen sie damit, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen!
Quellen: